Ein Bericht von Jonas Penningroth
Unter dem Titel „Quantitative Daten vs. qualitatives Empfinden – Doing History in digitalen immersiven Szenarien“ veranstalten wir im Rahmen der vDHd2021 eine fünfteilige virtuelle Versuchsreihe. In offen angelegten Ideen- und Denkwerkstätten, die wir durch unterschiedlich gestaltete Denkimpulse befeuern, wollen wir das Verhältnis zwischen einer virtuellen Repräsentation quantitativer Daten und einem qualitativen Empfinden im geschichtswissenschaftlichen und -didaktischen Kontext ausloten. Bei unserer Einführungsveranstaltung hatten wir bereits die Gelegenheit, die Teilnehmer*innen kennenzulernen und unsere Erkenntnisinteressen für diese Veranstaltungsreihe zu formulieren. Unter der Leitfrage, an welchem Ideal sich die Geschichtswissenschaft im virtuellen Raum orientieren soll, haben wir ein Spannungsfeld zwischen Abstraktion und Immersion eröffnet.
Jetzt wollen wir einen Einblick in unsere erste thematische Sitzung geben. Unter dem Titel „Modelle und Abstraktion“ haben wir uns den theoretischen und methodischen Grundlagen von Visualisierungen in VR angenähert. Ingo Pätzold und Marius Maile lieferten Denkimpulse für die Diskussionsrunden zu den Themenfeldern wissenssoziologische Perspektiven auf Medienentwicklungen, 3D-Datenvisualisierungen sowie komplexe 3D-Objektmodelle. Zwischen den Teilnehmer*innen entwickelte sich ein lebhaftes Gespräch, das ausgehend vom Umgang der Architekturgeschichte mit „unscharfem Wissen“ in digitalen Modellen schnell zu Fragen kam über Abstraktion und Realismus in der VR und was dies für deren Anwendung in den Geistes- und Kulturwissenschaften bedeutet.
Als ein Ergebnis wurde festgehalten, dass die Darstellungswahl vom Anwendungsgebiet abhängig ist. So wird im Bereich der Unterhaltungsmedien zwar auf historisches Wissen zurückgegriffen, um ein möglichst lückenloses und immersives Spielerlebnis zu ermöglichen, Unsicherheiten werden jedoch überbrückt. Aus Sicht der Diskutierenden erfüllt dies häufig die Erwartungen der Nutzer*innen, z. B. an eine Darstellung von Geschichte ‚wie es eigentlich gewesen ist‘. Hier wurde in der Runde eine Chance für die Wissensvermittlung gesehen. Die VR erlaubt es gleichzeitig unterschiedliche und auch widersprüchliche Dateninterpretationen zu zeigen, mit denen die Nutzer*innen dann immersiv selbst in Interaktion treten können und so auch an die Kontingenz wissenschaftlicher Erkenntnisse herangeführt werden. Auch in der Forschung bewerteten die Teilnehmer*innen Darstellungen in der VR, die Wissenslücken explizit sichtbar machen, als zielführender.
Als weiterer Punkt wurde in der Unterhaltung schnell die Unterscheidung von Modellen als Ergebnis modellierender Praktiken, die in allen Wissenschaften zu den grundlegenden Arbeitsweisen gehören, und Visualisierungen von Modellen herausgearbeitet. Es wurde debattiert, inwiefern VR tatsächlich Modelle verändern kann oder lediglich eine neue Darstellungsform bestehender Modelle ist. Hier wurde die mediale Bedingtheit von Informationsvermittlung betont. Die VR verändert bereits durch ihre medialen Eigenschaften Modelle, die in ihr dargestellt werden. Das genaue Ausmaß der Veränderung und ob so auch neue Modelle hervorgebracht werden, blieb dabei offen. Die Diskutierenden stellten jedenfalls schnell heraus, dass Sie in der VR Möglichkeiten sehen, die über bisherige Darstellungsformen hinausgehen. Hier wurde vor allem ein höheres Maß an Interaktivität genannt. Dies resultiert unter anderem daraus, dass abstrakte Daten als interaktive Objekte dargestellt werden können. Ebenso steigernd wirken hier der Zugewinn der dritten Dimension und die Möglichkeit neben dem visuellen auch weitere Sinne, wie den auditiven, anzusprechen. Insgesamt wurde ein deutlicher Mehrwert der VR für Forschung und Vermittlung gesehen, der aber nur bei einer beständigen medienkritischen Reflexion realisierbar ist. Vor allem bei VR-Tools zur Vermittlung wurde betont, dass Entscheidungen in der Entwicklung und Darstellungswahl den Nutzer*innen möglichst transparent gemacht werden sollten.
Wir möchten an dieser Stelle allen bisherigen Teilnehmer*innen für ihre zahlreichen Beiträge danken und freuen uns auf die kommenden Sitzungen. Wenn jetzt Euer Interesse geweckt wurde: Anmeldungen für noch ausstehende Termine sind auch im Laufe der Veranstaltungsreihe möglich! Weiter Infos findet Ihr auf unserer Seite zur Veranstaltung und bei RaDiHum 20.
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